Noch zu Kriegszeiten 1940 studierte sie – neben ihr war nur noch eine weitere Frau als Zivilistin im Hörsaal – Tiermedizin in Hannover und legte 1943 ihr Examen ab. Im niedersächsischen Holtorf baute sie innerhalb von vier Jahren ihre erste Praxis auf, finanzierte damit auch das Studium ihres Mannes und bekam in dieser Zeit drei Kinder. 1955 kehrte sie vorübergehend in ihren Geburtsort Sassenberg zurück und eröffnete ein Jahr später – nach der Geburt ihres vierten Kindes – eine Kleintierpraxis in Gelsenkirchen. 1966 übernahm sie als erste Schlachthofdirektorin Europas die Leitung des Schlachthofes in Warendorf für elf Jahre. Als der Schlachthof geschlossen wurde, machte sie sich mit einer Kleintierpraxis in Sassenberg selbständig.
Ende 1978 lernte ich sie kennen – im damaligen Warendorfer Frauenzentrum an der Milter Straße – jene Frau, die früh gegen den §218 auf die Straße gegangen war, um Frauenrechte zu vertreten. Neben erschütternden Lebensgeschichten, die in einer Gruppe von über zwanzig unterschiedlichen Frauen bei den wöchentlichen Treffen ausgetauscht wurden, herrschte dort Aufbruchsstimmung und engagiertes Handeln. Bürokratische Verhandlungen, Gespräche mit Zweiflern und Skeptikern waren nichts für Sibylle. Fakten schaffen, das war es, was damals zählte und wofür sie eintrat. So entstand 1979 durch die Anmietung einer Innenstadtwohnung das Frauenhaus in Warendorf als eines der ersten in der Bundesrepublik. Schon wenige Jahre später kaufte Sibylle gemeinsam mit ihrer Schwester Annette ein großes Gebäude, in dem seitdem das Warendorfer Frauenhaus unzähligen Frauen und Kindern Zuflucht und Geborgenheit bietet.
Sibylle konnte zuhören, Situationen analysieren und daraus praxisorientierte Lösungen entwickeln. So gehörte sie 1988 zu den Gründungsfrauen des Vereins gegen sexuellen Missbrauch an Kindern in Beckum, engagierte sich bei terre des femmes für Frauenrechte weltweit, war Mitbegründerin der Lobby für Menschenrechte e.V. und ihre zweite Vorsitzende. 1979 gründete sie in Warendorf die Frauenpartei und wurde zur ersten Vorsitzenden gewählt. Von 1984 – 1989 war sie für die Partei der Grünen im Warendorfer Kreistag. 1997 rief sie das Kreisfrauenforum, einen Zusammenschluss aller Fraueninitiativen und Verbände im Kreisgebiet, ins Leben.
Sibylle Schücking-Helfferich war eine unruhige Vordenkerin, die sich nie auf dem Erreichten ausruhte. Der Kampf für die Rechte der Frauen gehörte zu ihrem Alltag, und mit diesem Kampf war sie für viele ein Vorbild.