„Item de leue hillige yunffer Thiadilda was so hillich dat men des nicht vthspreken en kann“1

Thiatildis von Freckenhorst

9. Jahrhundert

Warendorf

Kloster/Kirche/Religion

„Selige Theatilda / erste Abdissin von Freckenhorst / erbitte von Gott und seiner Mutter / hülf segen und raht“
Ölgemälde, 18. Jh. mit einer Ansicht der Stiftskirche von Norden, jetzt im Altenheim Dechaneihof Freckenhorst
Foto: © Fotostudio Kaup Warendorf

heißt es von der famula Dei (Dienerin Gottes) Thiatilda, der ersten Äbtissin des Stiftes Freckenhorst, in dem zweisprachigen Legendar aus dem 15. Jahrhundert.

Das kinderlose sächsische Herrscherehepaar Geva und Everword hatte 856 an einem Ort, der vermutlich vordem eine Kultstätte des germanischen Fruchtbarkeitsgottes Fricko gewesen war, und in dessen Nähe sich wichtige Handelswege kreuzten, ein Kloster und eine Kirche gestiftet als sichtbares Zeichen neuer Herrschaftsstruktur und -kultur.
In Freckenhorst entstand eines der ersten Frauenklöster in Westfalen. Mit dem Engagement der Stifter war die persönliche Hoffnung verbunden, dass sich die adligen Jungfrauen im Kloster in ihren Gebeten für das Seelenheil des Stifters und der Stifterin einsetzten. Zu Beginn der Christianisierung in Westfalen sind bis ins 10. Jahrhundert vor allem Frauengemeinschaften gegründet worden.2

So wenig wie die Wahl des Standortes überließ man von Anfang an die Besetzung des Äbtissinnenamtes dem Zufall. Die Legende erzählt, dass die kleine Thiatilde, als sie ihrem Pflegevater Everword entgegeneilen wollte, in ein Gefäß mit heißem Wasser stürzte. Da sie unversehrt blieb, versprachen ihre Pflegeeltern, sie Gott zu weihen, und übergaben sie dem Kloster.
Über das weitere Leben der ersten Äbtissin Thiatildis ist wenig bekannt. Schon bald nach ihrem Tod wurde sie jedoch als Heilige verehrt. Ihr Todestag soll ein 30. Januar gewesen sein, zumindest wird er seit dem 11. Jahrhundert mit einem Festessen im Konvent und einer Armenspeisung begangen. An diese Tradition knüpft bis heute das sogenannte Thiatildis-Essen an.

Mit Ausbruch der Reformation im 16. Jahrhundert geriet Thiatildis zunächst in Vergessenheit, bis 1609 die Äbtissin Elisabeth von Berge die Gebeine der Heiligen ausgraben und in einer Tumba neben einem Brunnen bestatten ließ. Dem Wasser dieses noch heute erhaltenen Thiatildis-Brunnens wurde – vermutlich in Anlehnung an die Legende von Thiatildis Rettung – heilende Kraft bei Augenleiden nachgesagt. 1669 schließlich erhob Bischof Christoph Bernhard von Galen sie zur Ehre der Altäre und stiftete dazu einen kostbaren Silberschrein, der seitdem die Gebeine der Heiligen birgt. Nach unruhigen Jahrzehnten, in denen weder Reformation noch Täuferbewegung an der Klosterpforte Halt machten, wurde im Münsterland vor allem durch Thiatildis die katholische Frömmigkeit erneut belebt.


Christa Paschert-Engelke

1 Auch die liebe heilige Jungfrau Thiadilda war so heilig, dass man es nicht aussprechen kann.
Zitiert nach: Signori, Gabriela u.a. (Hg.), Das Freckenhorster Legendar, Bielefeld 2003, S. 61
2 dazu Muschiol, Gisela, „Versorgungsfälle“ oder selbstbewusste Frauenfrömmigkeit? Die Frauenklöster Westfalens im Mittelalter, In: Paschert-Engelke, Christa (Hg.), Zwischen Himmel und Erde, Münster 2003, S. 7-16