„Dass ich bei zwei Bewerbern den Mann nehme,
müssen Sie doch wohl verstehen.“

Annette Schücking-Homeyer

1920 – 2017

Sassenberg
Warendorf

Recht/Rechtlosigkeit
Soziales Engagement

Annette Schücking-Homeyer

Mit dieser Begründung lehnte der Präsident des Verwaltungsgerichts in Düsseldorf 1953 Annette Homeyers Bewerbung als Richterin ab, obwohl sie als Alleinverdienerin – ihr Mann studierte – für den Familienunterhalt sorgen musste. Als sie daraufhin auf ihre Planstelle am Amtsgericht in Duisburg zurückkehrte, wurde sie einem kleinen Schöffengericht vorgesetzt, da sie nach Meinung des zuständigen Präsidenten dort „im Strafrecht am wenigsten Unfug“ anrichten könnte. Überhaupt war man noch in den 50er Jahren der Meinung, dass verheiratete Frauen keine Beamtinnen sein sollten. Auch der Münsteraner Regierungspräsident schätzte „studierte Frauen“ nicht, dennoch wurde sie dort zunächst nach ihrem Studium in das Oberversicherungsamt aufgenommen und konnte als Richterin tätig werden. Schon 1948, als ihr die eigentlichen Diskriminierungen als ‚juristische Frau‘ noch bevorstanden, gründete sie gemeinsam mit einigen anderen Juristinnen den „Deutschen Juristinnenbund“ (djb).1

Bereits ihr Ururgroßvater Paulus Modestus Schücking, Ehemann von Katharina Busch, war Jurist und seiner Zeit voraus, hatte er sich u. a. bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts für die Legalisierung gemischtkonfessioneller Ehen eingesetzt. Auch ihr Vater, der Rechtsanwalt Dr. Lothar Schücking, war seinen Zeitgenossen unbequem und musste bereits 1933 seine Kanzlei in Dortmund wegen angeblicher „kommunistischer Betätigung“ aufgeben.
Annette wurde schließlich die erste Juristin in der Familie. 1938 hatte sie ihr Studium in Münster aufgenommen. Zuvor hatte sie ihr Abitur in Warendorf abgelegt. Denn obwohl die Familie Schücking ursprünglich in Dortmund wohnte, verbrachten Annette und ihre Geschwister Engelbert und Sibylle stets die Sommerschulzeit in Sassenberg, wo die Mutter den Schückingschen Hof bewirtschaftete. 1933, nach dem Verlust der Kanzlei des Vaters, zog die gesamte Familie dauerhaft nach Sassenberg. Als ihre eigenen Kinder Jan und Anja in den 50er Jahren geboren wurden, gab Annette ihren Beruf nicht auf, richtete weiter. 1965 ließ sie sich an das Sozialgericht in Detmold versetzen.

Seit ihrer Pensionierung im Jahre 1983 setzt sich Annette für vielfältige soziale Probleme ein, die bereits in ihrem Berufsalltag eine zentrale Rolle spielten. Sie initiierte z. B. den Frauengeschichtsladen in Detmold, engagierte sich gegen Gewalt an Frauen und richtete 1979 mit ihrer Schwester Sibylle das Frauenhaus in Warendorf ein. Gemeinsam mit ihr kämpfte sie in NRW dafür, dass bei Fällen „Häuslicher Gewalt“ immer von Amts wegen ermittelt werden muss. Nachdem Ende der 90er Jahre ein entsprechender Erlass herausgegeben wurde, wird seit dem 01.01.2002 dieses Recht bundesweit im Gewaltschutzgesetz geregelt.
2003 wurde Annette Schücking-Homeyer mit dem Verdienstorden des Landes NRW ausgezeichnet. Heute widmet sich die gebildete Frau fast ganz der Erinnerungskultur, sortiert und kommentiert den großen Nachlass der Familie und wird häufig als Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts angesprochen.


Christa Paschert-Engelke

1 Röwekamp, Marion, Juristinnen, Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 378-380.