„Ärztin mit Leib und Seele“

Hildegard Rotthege

1919 – 2013

Everswinkel

Medizin/Pflege

Hildegard Rotthege

Elf Mädchen und drei Jungs waren sie bei ‚Rottheges‘ auf dem großen Hof zwischen Everswinkel und Freckenhorst mit den fetten Weiden und den großen Viehbeständen gewesen. Hilde war die zwölfte. Sie und noch zwei Geschwister machten Abitur. 1940 fing Hilde mit dem Medizinstudium in Münster an. Zwanzig Prozent der Studierenden waren Frauen. 1958 schraubte sie ihr glänzend weißes Emailleschild am Prinzipalmarkt in Münster, dort wo heute die Westfälischen Nachrichten sind, an die Hausmauer: Dr. Hildegard Rotthege, Fachärztin für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe, alle Kassen. Die Praxis lag im ersten Stock. Zuvor hatte sie als Assistentin von Dr. Wesener, zunächst in Maria Frieden in Telgte, dann später in Weseners Privatklinik am Aasee gearbeitet. Nach seinem plötzlichen Tod öffnete sie 1956 ihre eigene Praxis, zunächst in ihrer Privatwohnung – typisch für unverheiratete Ärztinnen in der damaligen Zeit. Und sie arbeitete allein – eine Sprechstundenhilfe konnte sie nicht bezahlen. Nach eineinhalb Jahren erhielt sie endlich die begehrte Kassenzulassung. Frauen mussten darauf meist deutlich länger warten als Männer, nicht zuletzt da die Ärztekammer und auch der Zulassungsausschuss ausschließlich aus Männern bestanden.

Frau Doktor war die erste Frauenärztin in Münster, und sie war erfolgreich. Nach fünf Jahren zog sie weiter in die Bogenstraße, trennte Arbeiten und Wohnen, stellte eine Arzthelferin ein. Manchmal hatte sie 50 bis 60 Patientinnen am Tag, dazu Hausgeburten. Ärztin war sie mit Leib und Seele. Sie wollte jeder Patientin gerecht werden, was oft bedeutete, viel Zeit für die einzelnen zu haben statt teurer Apparate. An der Bogenstraße blieb sie bis Ende 1984 – fast 40 Jahre war sie Ärztin gewesen. Mit der neuen Generation der Medizintechnik wollte sie nichts mehr zu tun haben. Selbst wenn sie heute auf dem Münsteraner Wochenmarkt einkauft, grüßen sie noch so manche „alte“ Kinder, die sie vor 40, 50 Jahren auf die Welt gebracht hat. <br>
Fast wäre sie von ihrer beruflichen Laufbahn abgekommen. Als ihr Bruder sich nach dem Krieg in Freckenhorst als Tierarzt niederließ, wollte die Mutter, dass Hilde ihm zur Hand ging. Zu ihrem Glück heiratete der Bruder ihre beste Freundin, auch eine Ärztin – und Hildegard konnte mit ihren Assistenzjahren im Franziskus-Hospital in Münster beginnen.


Christa Paschert-Engelke