Bettlerin „aus Muthwillen“1

Maria Catharina Lücke

gestorben 1843

Sassenberg

Recht/Rechtlosigkeit

Abb.: ehemaliges Landarmenhaus Benninghausen, heute Westfälische Klinik für Psychiatrie

Über Menschen aus den sog. Unterschichten können wir Biografien zumeist nur sehr bruchstückhaft rekonstruieren.2 Das Beispiel der Maria Catharina Lücke aus Sassenberg soll hier skizzenhaft zeigen, wie die Lebensbedingungen einer Frau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aussahen, die nicht in sozial und materiell abgesicherten Verhältnissen lebte.

Die Herkunft der Maria Catharina Lücke aus Sassenberg liegt im Dunkeln. Vermutlich stammte sie aus einer kleinbäuerlichen Familie oder einer Heuerlingsfamilie, die ohne eigenen Grundbesitz bei einem Bauern zur Miete wohnte und neben einer kleinen Subsistenzwirtschaft landwirtschaftliche Arbeiten im Tagelohn verrichtete bzw. im Leinengewerbe tätig war. Mit Sicherheit stammte sie aus armen Verhältnissen, in denen Bettelei zumindest phasenweise zum Lebensunterhalt gehörte.
Als sie am 16. September 1829 dem Bürgermeister in Sassenberg vorgeführt wurde, war sie schon mehrfach durch Bettelei aufgefallen und von den Vertretern der lokalen Obrigkeit deswegen ermahnt worden bzw. hatte Strafandrohungen erhalten. Dabei hatte sie ihren festen Wohnsitz in Sassenberg und gehörte nicht zu den vagierenden Bettlern. Der Bürgermeister konstatierte, dass sie „nur aus Muthwillen bettelt, da sie nach Aussage aller hiesiger Eingesessener es nicht nothwendig hat, sondern recht gut arbeiten kann.“ Eine Stellungnahme Maria Catharinas fehlt dazu. Auf Vorschlag des Bürgermeisters wurde sie von der Regierung für drei Monate in das Landarmenhaus Benninghausen eingewiesen. Maria Catharina verbrachte den Rest des Jahres 1829 in dem ehemaligen Kloster bei Soest, das erst acht Jahre zuvor vom preußischen Staat eingerichtet worden war und alle aufnehmen sollte, die nicht von den Kommunen oder Korporationen versorgt werden konnten, außerdem Bettler, Prostituierte und Diebe. Damit hatte es zumindest in den ersten Jahrzehnten seiner Existenz eine Mischfunktion aus Erziehungsheim, Strafanstalt, Waisen-, Armen- und Arbeitshaus. Die Lebensbedingungen waren sicher nicht die angenehmensten.

Maria Catharina wurde zu Arbeiten herangezogen, und nach dem Ablauf der drei Monate meldete der Hausverwalter von Benninghausen, dass sie „jetzt erst anfängt einige Thätigkeit zu zeigen“. Er schlug eine Verlängerung ihres Aufenthaltes um weitere drei Monate vor, die anstandslos genehmigt wurde.
Kurz vor ihrer Entlassung im Frühjahr 1830 stellte der Sassenberger Bürgermeister einen Platz im Armenhaus zur Verfügung, wo Maria Catharina weiterhin unter Aufsicht zur Arbeit angehalten werden konnte und wo sie offensichtlich die nächsten Jahre lebte.
Nach weiteren Fällen von Bettelei schlug der Bürgermeister 1833 einen dauerhaften Aufenthalt der als „schwachsinnig“ eingestuften Maria Catharina in Benninghausen vor. Doch erst 1842 erfolgte nach zahlreichen Strafen und Abmahnungen eine erneute Einweisung. – diesmal für ein Jahr, das sie aber nicht mehr komplett dort verbrachte. Am 12. Juni 1843 verstarb Maria Catharina Lücke in Benninghausen an Altersschwäche.


Annette Hennigs

1 Alle Zitate aus: LAV NRW Staatsarchiv Münster Kreis Warendorf Landratsamt Nr. 659.
2 Siehe dazu auch: Neuhann, Christiane, „… und sie treiben unnütze Lebensart.“ Bettler und Vagabunden auf dem platten Land (Kreis Warendorf im 19. Jahrhundert), Münster 1990.