„Mein Mann kann mir nicht mehr wehtun. Ich will nur, dass meine Kinder gesund und ohne Angst groß werden können.“

Shamsa Shajjar

ca. 1972 – 2000

Ennigerloh

Migration/Gewalt
Recht/Rechtlosigkeit

Grab von Shamsa Shajjar auf dem Friedhof in Westkirchen

Shamsa Shajjar konnte keine Schule besuchen. Sie hat keine Ämter innegehabt, sich nicht beruflich in einer Männerwelt behauptet, keine Karriere gemacht. Sie lebte nur ungefähr ein halbes Jahr im Kreis Warendorf und hat in dieser Zeit doch Spuren hinterlassen.
Geboren in der türkischen Stadt Mersin, wurde sie von ihrem älteren Bruder im Alter von zwölf Jahren mit ihrem Cousin verheiratet. Er schlug und misshandelte sie von Anfang an, aber die Familie betrachtete dies als Privatangelegenheit, in die man sich nicht einzumischen hatte. Mit vierzehn Jahren wurde sie zum ersten Mal Mutter, drei weitere Kinder folgten. Die Familie zog nach Deutschland. Das Leben von Shamsa und ihren Kindern war geprägt von Gewalt, Angst und Terror durch den Mann und Vater. Sie verließ ihn, als er sie zur Prostitution zwingen wollte und als sie sich sicher war, dass ihre Familie nun diesen Schritt akzeptieren könne.
Sie ging in ein Frauenhaus im Saarland. Da sie dort nicht sicher genug war, kam sie mit ihren Kindern im Sommer 2000 ins Frauenhaus in Warendorf. Im Oktober 2000 zog sie nach Westkirchen, wenig später fand ihr Mann sie dort, und sie ging ins Frauenhaus zurück. Weil das Sozialamt nicht für zwei Unterkünfte zahlen und auch, weil sie nicht mehr davonlaufen wollte, zog sie zurück in ihre Wohnung in Westkirchen. Am Morgen des 7. Dezembers 2000 gegen 8.00 Uhr kam sie mit ihren zwei mittleren Kindern aus dem Kindergarten, wohin sie gerade das jüngste Kind gebracht hatte, als ihr Mann von hinten auf sie schoss. Er hörte erst auf, als das Magazin seiner Waffe leer war, und Shamsa Blut überströmt auf dem Bürgersteig verstarb.

Wenn ich an sie denke, denke ich nicht an Shamsa als Opfer. Ich denke an sie als Frau, die überall Freunde fand und Menschen, die sie schätzten und liebten: die Nachbarin im Saarland, die ihr half, sich in Deutschland zurechtzufinden, ihre Anwältin, die Frauen in den beiden Frauenhäusern, in denen sie Zuflucht suchte, ihre Vermieter in Westkirchen. Ich denke an sie als die kluge, sehr aufrichtige und aufrechte, ungebrochene Frau. Ich denke an ihr inniges Verhältnis zu ihren Kindern. Ich denke an sie als dem mutigsten Menschen, dem ich je begegnet bin. Ich denke an die Frau und Mutter, die mir sagte, dass ihr Mann sie eines Tages töten wird, er ihr aber dennoch nichts mehr antun könne. Sie habe nur den einen Wunsch, dass ihre Kinder ohne Angst und Gewalt heranwachsen können. Das hat sie erreicht.

Weil auch die Menschen in Westkirchen und im Kreis Warendorf Shamsa nicht vergessen wollten, haben sie für Shamsa vor der Kirche in Westkirchen einen von der Künstlerin Brigitte Schröder (Beckum) geschaffenen Gedenkstein in das Pflaster eingelassen.


Claudia Engelberts1

1 Die Autorin Claudia Engelberts war Ansprechpartnerin für Shamsa Shajjar im Frauenhaus.