„Und wo sind die anderen…?“1

Therese Münsterteicher

geb. Nübel | 1897 – 1967

Ahlen

Gewalt
Recht/Rechtlosigkeit
Soziales Engagement

Therese Münsterteicher
Foto: Privatbesitz Luise Ostermann

1996 bekam unter großer öffentlicher Anteilnahme ein kleiner beschaulicher Platz in Ahlen den Namen „Therese-Münsterteicher-Platz“. 2002 wurde mit ebenso breitem öffentlichem Interesse eine Biographie über Therese Münsterteicher vorgestellt. Ihre Grabstätte auf dem Ahlener Südfriedhof wird bis heute regelmäßig von einer Schulklasse der Geschwister-Scholl-Schule gepflegt.
Wer war diese Frau? Was war in ihrem Leben, das solch eine Aufmerksamkeit erregte?

Therese Münsterteicher wurde am 4. Februar 1897 als viertes Kind der Familie Nübel in der Nähe von Hövelhof im Delbrücker Land geboren. Sie wuchs auf dem Land auf, in einem bäuerlichen Umfeld, in dem viel Arbeit, wenig Geld und ein strenges Regiment der Mutter den Alltag bestimmten.
Die insgesamt sechs Geschwister hielten dennoch gut zusammen, auch als fünf von ihnen sich auf den Weg machten in die aufblühende Industrie- und Zechenregion um Ahlen herum. Mit 16 Jahren, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, kam auch Therese nach Ahlen. Sie zog in die Klosterstraße zu ihrer Schwester. Mit der verstand sie sich wie mit einer guten Freundin. Sie suchte sich Arbeit. Sie brachte Brötchen herum, fuhr mit dem Fahrrad quer durch ihre neue Heimatstadt, strahlte dabei Optimismus und ansteckende Lebensfreude aus. So knüpfte sie rasch Kontakte und war oft Mittelpunkt in ihrer Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis.
In den 20er Jahren fand sie Arbeit in der Emaillefabrik Rollmann & Tovar. Hier, am Packtisch, freundete sich Therese, die nur „Thres’ken“ oder „Thres’chen“ genannt wurde, besonders mit einem jungen Mädchen, Rosa Moszkowicz, an. Rosa hatte zu Hause kleinere Geschwister, um die sie sich liebevoll kümmerte. Und Therese kümmerte sich mit, übertrug ihre Freundschaft auf die gesamte Familie.

Sie gab die Freundschaft nicht auf, hielt zu der jüdischen Familie Moszkowicz, auch als die Nationalsozialisten in ihrer Schreckensherrschaft Menschen jüdischer Religion und Herkunft zu Staatsfeinden und Untermenschen degradierten und selbst Mitmenschlichkeit und Freundschaft unter Strafe stellten. Sie besuchte ihre Freunde, stellte ihr Fahrrad offen vor die Haustür, sie brachte ihnen Lebensmittel und warnte sie, wenn sie von geplanten Aktionen gegen Juden erfuhr. Sie suchte nach ihnen in der Pogromnacht des 9. November 1938. Als 1939 die Familie Moszkowicz nach Essen zwangsumquartiert wurde, packte sie ihre Taschen voll mit Brot, Kohlköpfen und Ziegenfleisch, fuhr nachts heimlich mit dem Zug und traf sich im dunklen Grugapark mit ihrer Freundin. Therese half, so lange sie konnte – so lange bis alle Familienmitglieder ihren furchtbaren Weg in die Deportationszüge und Konzentrationslager antreten mussten.
Als einziger überlebte Rosas Bruder Imo. Er wurde ein namhafter Schauspieler und Regisseur und brachte Jahre nach Thereses Tod den Erinnerungsstein an sein „Tante Thres’chen“ ins Rollen.

„Und wo sind die anderen? Wo sind die anderen?“
Therese sah Imo an, der vor ihr stand, an ihrer Haustür in der Gartenstraße. Er stand da, abgemagert, kahlgeschoren, allein<br>.
„Wo sind die anderen, Imo?“ Sie schaute ihn lange still an.
Dann nahm sie ihn in die Arme.2


Hildegard Offele-Aden

1 Offele-Aden, Hildegard, Therese Münsterteicher. „Und wo sind die anderen?“ Stadt Ahlen, Der Bürgermeister, VHS und Kulturabteilung, März 2002, S. 7
2 Ebenda