„Ich brauch das einfach!“

Wilma Meyer-Carlstädt

geb. Bredemeyer | 1906 – 2000

Warendorf

Politik/Verwaltung
Soziales Engagement

Wilma Meyer-Carlstädt anlässlich der Verleihung des Ehrenrings 1989
Foto: © Fotostudio Kaup Warendorf

In ihrem Nachruf trauerten die Genossinnen und Genossen um „die Mutter der SPD im Kreis Warendorf“, der Kreisverband der AWO nimmt Abschied von der Gründerin und Ehrenvorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt in Warendorf, die Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Frauen gedenkt der Gründerin der ersten sozialdemokratischen Frauengruppe: die Genossin Wilma Meyer-Carlstädt war 74 Jahre aktives Mitglied der SPD. 1906 in Hannover geboren als Tochter eines Oberbäckers, der als „Gewerkschaftler der ersten Stunde“ galt, war sie von Haus aus der Sozialdemokratie nahe. Wegen ihrer sozialen Herkunft durfte sie, „das Proletenkind“1, das Lyzeum nicht besuchen. Stattdessen machte sie an einer Privatschule die Mittlere Reife, arbeitete als Sozialarbeiterin, dann als examinierte Krankenschwester in Hamburg.

Später zog sie mit ihrer Familie nach Münster. Ihr Ehemann Theo hatte dort eine Stelle als Buchhändler gefunden. Während der Zeit des Nationalsozialismus, als sie mit ihren beiden Söhnen Peter und Dieter allein lebte und Theo „auf hoher See“ bei der Kriegsmarine war, setzte die Gestapo sie unter Druck, wollte, dass sie die Namen von Sozialdemokraten in Hannover „herausrückte“: „Haben sie aber nicht gekriegt.“
Nachdem ihr Haus im Krieg zerstört wurde, floh sie mit ihren Kindern nach Freckenhorst. Hier baute ihr Mann nach dem Krieg den SPD-Ortsverein wieder auf, in dem auch sie mithelfen wollte, die neue Demokratie lebendig werden zu lassen. Allerdings wurde ihr – der Genossin – recht schnell deutlich gemacht, dass sie sich „als Ehefrau und Mutter“ zurückzuhalten hatte. „Die hätten mich ja groß angeguckt. Frauen hatten in der Politik nichts zu suchen“ – auch oder vor allem in der SPD nicht. Doch bei dieser Rollenzuweisung beließ sie es nicht. „Immer wieder kamen Elendszüge in Warendorf an, die meisten wurden in den Ställen des Landgestütes untergebracht, und Frau Meyer-Carlstädt half, so gut sie konnte.“2 Neben ihrem sozialen Engagement machte sie sich beruflich selbständig – mit einer sogenannten Automatenwäscherei3 an der Oststraße in Warendorf – und finanzierte ihren Söhnen das Studium.
Und trotz Argwohn blieb sie auch politisch aktiv. Schließlich wurde sie 1964 in den Rat der Stadt Warendorf gewählt – als eine der wenigen Frauen. Zehn Jahre engagierte sie sich in diesem Amt für Jugend, Soziales, Senioren, für Aussiedler/innen und ausländische Menschen. Als Vorsitzende des Ortsvereins AWO Warendorf setzte sie sich zudem besonders für die Kinder- und „Altenerholung“ und die Altenstube in Warendorf ein. Ihr großes sozialpolitisches Engagement ließ sie noch mit über 90 Jahren und trotz ihrer zunehmenden Schwerhörigkeit an allen Ratssitzungen in Warendorf interessiert teilnehmen, denn: „Ich brauch das einfach!“
1989 zeichneten die Warendorfer ihre „alte Dame“ mit dem Ehrenring der Stadt aus; zehn Jahre zuvor hatte Wilma Meyer-Carlstädt bereits das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten.


Christa Paschert-Engelke

1 Auch alle weiteren nicht anders gekennzeichneten Zitate nach Dicke, Jan Nikolas, „Proletenkind und Trümmerfrau“, In: ASF im Unterbezirk Warendorf (Hg.), Jubiläumsschrift: 20 Jahre Arbeitskreis sozialdemokratischer Frauen im Unterbezirk Warendorf, 1995
2 Aus der Rede anlässlich der Verleihung des Ehrenrings am 15. April 1989 durch Bürgermeister Drescher
3 Es handelte sich um eine Wäscherei mit den ersten Waschvollautomaten. Wilma Meyer-Carlstädt beschäftigte dort mehrere Personen.